Buchbesprechung „Das Triviale der Liebe“ von Markus Fäh

Buchbesprechung „Das Triviale der Liebe“ von Markus Fäh, 2006

Dem Psychoanalytiker Markus Fäh liegt die partnerschaftliche Liebe spürbar am Herzen. Das Buch ist ein leidenschaftliches Plädoyer für das Wagnis, dass sich Männer und Frauen auf eine dauerhafte Beziehung einlassen, sei es auch noch so mühsam und von Enttäuschung und Scheitern bedroht. So gewinnend Fähs Enthusiasmus auch ist, seine Erklärungsmodelle und Rezepte überzeugen im Großen und Ganzen nicht.

Im ersten Teil des Buches zeichnet Fäh ein düsteres Bild unserer heutigen Zeit: In Zeiten des globalisierten Kapitalismus sei es sehr viel schwerer als früher, langfristige Bindungen einzugehen. Wir stehen heute unter dem permanenten Druck, flexibel zu sein. Wir leiden an aggressivem Konkurrenzdruck, einem unerbittlichen Leistungsprimat und am Verlust von Loyalität. Langfristige Sorge-, Vertrauens- und Respektbeziehungen sind out. Weil „die kalte, rücksichtslose Gesellschaft diese Aufgaben nicht mehr übernimmt“, stehen ausgerechnet die störungsanfälligen, „an den postmodernen Ego-Trip-Pfahl geketteten“ Liebesbeziehungen unter verstärktem Druck, „das haltlose Individuum zu tragen, zu nähren und zu schützen. (…) Die Schere zwischen Liebesbedürftigkeit und Liebesfähigkeit muss sich unter solchen Bedingungen immer weiter öffnen. Die Ansprüche an den Liebespartner steigen, und die Fähigkeit, uneigennützig zu lieben, schwindet.“

Nach Fäh denken immer mehr Menschen, „den Geliebten jederzeit durch einen besseren ersetzen zu können“. Der Liebespartner „verkommt immer mehr zur psychologischen, sozialen und oft auch ökonomischen Dienstleistungsmaschine. Er soll ‚es‘ bringen (…), einen für alles, was im Leben schiefgelaufen ist, entschädigen.“ In der narzisstischen Ego-Kultur werde „der andere nicht als ‚anderer‘ geliebt (…), sondern als Wiederspiegelung oder Erfüllung eigener Wünsche“. Zudem sei heute die Illusion verbreitet, Liebe „könne in der ‚light version‘ – locker, flockig, heiter, unverbindlich – genossen werden, wie koffeinfreier Kaffee oder Cola Light“. Dabei seien alle süchtig nach Liebe. „Das Wort ist inflationär geworden, es taugt nichts mehr. Und je billiger ihre Währung ist, je tiefer ihr Kurs stürzt, umso mehr suchen wir nach ihr.“ Konjunktur hätten „überdrehte, hysterische Bekenntnisse, glatte Liebesakrobatik, dramatische Ausbrüche, aggressive Verführungen, billige Betrügereien“, ein „Theater, das von der Leere dahinter ablenkt“.

Solche unreife, imaginäre Liebe muss zu Enttäuschung führen. Die Flucht vieler Enttäuschter in einen „zynischen und gleichgültigen Narzissmus“ und das Streben nach völliger Unabhängigkeit sind für Fäh keine Lösung. Er fordert auf, „mit aller Kraft, rein und stark zu lieben, ganz unabhängig davon, ob man auch geliebt wird“. Wenn wir wahrhaft lieben, gehen wir ein hohes Risiko ein: Durch „die große innere Wucht des Gefühls“ und „die Nähe zum geliebten Menschen“ verlieren wir Kontrolle. „Die Liebe ist ein unlösbares Rätsel, sie lässt sich nicht entschlüsseln. Sie erfüllt einen mit unerschöpflicher Energie, wenn sie glückt, und stürzt einen in tiefste Verzweiflung, wenn sie scheitert.“ Und: „Die Liebe fällt hin, wo sie will.“ Doch sei Liebe die einzige Möglichkeit, Mensch zu sein. „Wenn wir wahrhaft lieben, sind wir subversiv, wir verfallen nicht der Ökonomie, dem Kosten-Nutzen-Denken, dem kleinlichen Eigennutz, der Ideologie, den Machtintrigen.“

Reife Liebe ist laut Fäh „kein sich spontan einstellendes Ereignis. Sie ist nicht biologisch triebhaft und automatisiert. Es gibt sie nicht einfach so, sie geschieht nicht von selbst. Liebe ist eine Erfindung, eine kreative seelische Leistung, eine seelische Position, die wir dem anderen gegenüber einnehmen (…). Sie erfordert einen gewollten, konstanten seelischen Aufwand.“ Wer liebt, gibt, ohne zu rechnen. Er bewundert, ohne zu beneiden. Er gibt, ohne zu fordern. (…) Wir lieben, wenn wir uns echt um einen anderen Menschen sorgen und uns für ihn interessieren. Wenn wir uns aus freien Stücken um ihn kümmern. Wenn wir nicht ständig danach schielen, ob wir in gleichem Maße geliebt werden. (…) Liebe ist eine realistische und ehrliche Beziehung zu sich selbst und zum anderen.“

Selbst das Sich-Verlieben sei ein Entschluss: „Wenn ich mich verlieben will, will ich meinem Leben eine Wendung geben, will meine Liebesenergie befreien und aus dem Gefangensein mit mir selbst ausbrechen.“ Die tiefgreifende Verliebtheit in einen anderen Menschen gebe uns „die Chance, uns zu verändern, uns zu öffnen, einen Sinn zu suchen und zu finden. Die Verliebtheit öffnet uns die Augen für alles, was uns bisher im Leben gefehlt hat; sie zeigt uns an der Person des Geliebten Eigenschaften auf, wie wir auch sein könnten, und gibt uns einen riesigen Energieschub, uns zu entwickeln, um nicht zu erstarren.“ Unser Interesse verschiebe sich von sich selbst zum anderen. „Die Verliebtheit des Paares ist eine Revolution im Kleinen (…) gegen die kalte lieblose Welt. Gegen die tödliche Routine. Gegen die zerstörerischen ökonomischen Zwänge des Existenzkampfes. Gegen die kulturellen Konventionen. (…) Für eine andere, solidarische Gesellschaft, in der jeder sich nicht mehr so wichtig und den anderen dafür umso wichtiger nimmt. Für die Gefühle und die Innenwelt. Für das Lachen, die Lebendigkeit, die Kindlichkeit. (…) Wir sehen wie mit dem Vergrößerungsglas die liebenswerten Seiten und lassen die weniger liebenswerten beiseite.“

Fäh formuliert eine einfache Liebesformel: „Liebesglück ist: Begehren plus sich verlieben plus sich binden plus sich interessieren und sorgen plus Liebeskiller zähmen.“ Sexuelles Begehren, Bindungswünsche und romantische Leidenschaft seien biologisch verankert. „Liebevolle Sorge, echtes Interesse und die Zähmung der Destruktivität müssen wir hingegen immer wieder neu erschaffen.“ In der Liebe zu einem anderen meine man sich selbst als einen vollständigeren und besseren Menschen. Liebe sei das Finden und Zulassen von etwas radikal Neuem, was man bisher nicht gewagt und gelebt hat.

Fäh fasst sein psychoanalytisches Verständnis von Liebe zusammen als risikobereites Zulassen von passiv überwältigender Erfahrung und als Verzicht auf Kontrolle, Verachtung und Zerstörung des anderen. Liebe bündele die eigenen Gefühle und Triebe auf den Geliebten, der nicht perfekt sein müsse. Liebe sei echte Sorge für den anderen. Sie überwinde Hass und Ambivalenz, ohne sie zu verdrängen. Der Liebende empfindet Reue und Scham, wenn er den anderen angegriffen hat. In der Liebe gebe es ein gutes inneres Bild vom anderen und einen grundsätzlichen Wunsch, mit ihm zusammenzubleiben. Der reif Liebende könne seine eigene Subjektivität behaupten und sich eigenverantwortlich gegen die Vereinnahmung und Zerstörung durch den anderen schützen. Liebende müssten dem eigenen Begehren folgen und sich vom Begehren des anderen lösen. Liebe sei unvereinbar mit Verächtlichkeit, Desinteresse, Disqualifikation, Gleichgültigkeit, lauen Gefühlen, chronischer Feindseligkeit, Grundsatzlügen, Geiz, Kleinlichkeit, Herrschsucht, Verrat.

Fähs Stil ist gut verständlich. Es gibt viele Fallbeispiele aus seiner psychotherapeutischen Praxis, welche die vielfältigen Probleme Liebender gut veranschaulichen. Schwer erträglich ist jedoch Fähs Neigung, die komplexen Schwierigkeiten in Liebesbeziehungen immer wieder mit fragwürdigen reduktionistischen Konstrukten von Sigmund Freud und anderen nicht mehr ganz aktuellen psychoanalytischen Theoretikern zu erklären. Glücklicherweise bezieht sich Fäh auch auf zeitgenössische Autoren, z.B. Francesco Alberoni, der die Rückwärtsgerichtetheit der Psychoanalyse zu überwinden sucht: In der Liebe zu einem anderen meine man sich selbst als einen vollständigeren und besseren Menschen. Die Liebe sei das Finden und Zulassen von etwas radikal Neuem, was man bisher nicht gewagt und gelebt hat. Auch Jacques Lacans Verständnis von triangulärer Liebe hat sich erfrischend von der ewig ödipalen Klamottenkiste freudscher Prägung befreit: Lacans Trias umfasst das Ich, das Du und den Mangel, die unausweichliche Restsehnsucht, mit der sich jede Liebesbeziehung früher oder später rumzuschlagen hat. Lacan empfiehlt Paaren existenzielle Gelassenheit und Humor.

Das Buch ist voll von Empfehlungen, wie Liebende Problemen vorbeugen und wie sie bestehende Probleme angeblich lösen können. So sollte Frau/Mann z.B. „sich selbst genügend lieben und sich deshalb frei von eigenen Interessen um den anderen sorgen und kümmern, ihn hochhalten und hochschätzen, sein Wohl über alles stellen“. Die Liebe sollte „kein Surrogat für mangelnde Selbstliebe sein. Wer reif für die Liebe sein möchte, muss auch ohne sie leben können. Er muss sich selbst so lieben, dass er in der Lage ist, sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen und sich seine Lebenswünsche und Ziele zu erfüllen.“ Was Frau/Mann alles können, tun und lassen soll, um der Liebe zum Erfolg zu verhelfen, füllt im Buch viele Seiten. Was von all dem Sollen im Liebesalltag tatsächlich sinnvoll und umsetzbar ist, bleibt allerdings fragwürdig.

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